Im Zuge der Verhandlungen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) mit Koalitionswunschpartner FPÖ, der Freiheitlichen Partei Österreich, wurde rasch klar, dass eine Reform des Bildungssystems in Angriff genommen wird.
Im Grunde ist die Bildungsreform ein nicht enden wollender Dauerstreit in Österreich. Wenn man will, handelt es sich bei der ewigen Bildungsreform um einen Nebenschauplatz der eigentlichen Schlacht, die exakt vor 150 Jahren entbrannte: 1867 wurde das Grundmuster des österreichischen Bildungssystems festgelegt, dass nämlich der Staat die Grundsatzgesetzgebung festlegt, denen die Länder mittels Ausführungsgesetzen Leben einhauchen sollen.
Die Bildungsdebatte in Österreich ist von Anbeginn von der Unversöhnlichkeit der Standpunkte der beiden traditionellen Großparteien ÖVP und SPÖ geprägt. Sie prägten den jahrhundertelangen Zwist mit sehr kurzen Unterbrechungen eindrücklich. Allein die auch gegenwärtig in den Koalitionsverhandlungen präsente Forderung nach „flächendeckendem Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen“ erweist sich gewissermaßen als Dauerbrenner.
Auf der Makroebene des Bildungssystems soll es jedenfalls zu einer Entbürokratisierung kommen. Eine kompaktere Gestaltung des Bildungswesens steht an, das die gültigen Schulgesetze in einem Bundesbildungsgesetz für Organisation und Inhalte zusammenfasst. Außerdem soll sämtliche personellen Aspekte strukturiert in einem Pädagogengesetz aufgehen. Entbürokratisierung in diesem Bereich bedeute auch, dass sämtlich Erlässe und Verordnungen einschließlich der Rundschreiben auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden sollen.
Neuerliche Eingriffe ins Bildungssystem trotz eben erst greifender Reformen
Erstaunlich ist der Zeitpunkt der Ankündigung von Reformen einer Partei, die gerade erst vor dem Sommer 2017 in einer anderen Koalition Bildungsreformen beschlossen hatte, die, da erst seit 1. September angewandt, unmöglich evaluierbar sind. Das Bildungssystem wird in Österreich offensichtlich als ewige Baustelle verstanden. Ständig ist ein Umbau fällig, wird an allen Ecken und Enden gefeilt.
Neben allgemeiner Administrationsreformen, wie der Befristung von Schulversuchen, dem Ausbau der Ganztagsschule oder die freiwillige Wiederholung der zehnten Schulstufe auch für Flüchtlinge, war bei der letzten Reform mit maßgeblicher ÖVP-Beteiligung vor allem das Projekt „Neue Oberstufe“ betroffen. Kolportierten Meldungen, denen zufolge in den Verhandlungen Einsparungen im Bildungswesen beschlossen wurden, traten die angehenden Koalitionspartner mit der Präsentation ihres Bildungspapiers entgegen.
Die „ÖVP neu“ drängt nun auf Bildungspflicht
Seit Maria Theresias „Allgemeiner Schulordnung“ von 1774 gibt es eine Schulpflicht in Österreich, die im Grunde nichts anderes als eine Bildungspflicht ist. Der einheitliche Lehrplan befasste sich schon damals vorwiegend mit Deutsch- und Religionsunterricht sowie mit einfacher Mathematik. In den aktuellen Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ pocht der ÖVP-Vorsitzende Sebastian Kurz auf ein nicht unähnliches Ziel.
Was soll sich ändern? Was ist geplant?
Die Chefverhandler beider Parteien sollten sich darauf einigten, dass Bildung einen klaren Fokus auf den Erwerb der so genannten Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen zu legen habe, so sein Auftrag. Am Arbeitsmarkt käme es immer wieder zu massiven Problemen, weil Absolventen hier große Schwächen aufwiesen. Die Neuerung, die Kurz nun umgesetzt sehen will, würde die Schulpflicht jener Schüler, die das geforderte Mindestmaß dieser Grundkompetenzen nicht erreichen, auf 18 Jahre ausdehnen.
- Das Konzept der Sonderschule feiert ein Comeback und wird ausgebaut. Das bedarf der exakten Festlegung von Inklusionsregeln, aber auch der Neugestaltung der sonderpädagogischen Ausbildung.
- Es soll neue Ausbildungsmöglichkeiten für schulpflichtige Kinder mit besonderem Förderbedarf geben. Hier ist im Bildungskonzept der Koalitionsverhandlungen von einer „standardisierten Abschlussprüfung für eine Fachausbildung als Vorstufe der Lehrabschlussprüfung“ die Rede.
- Ebenso wird am Konzept des Ethikunterrichts festgehalten, wobei die Teilnahme für die Schüler im Gegensatz zum Religionsunterricht obligatorisch ist.
Deutsch vor Schuleintritt
Mit der Verpflichtung „Deutsch vor Schuleintritt“ ausreichend beherrschen zu können, soll ein weiteres Kernthema der anvisierten Bildungsreform in den Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sein. Kinder, die also zum Zeitpunkt des anvisierten Schuleintritts nicht ausreichend gut Deutsch sprechen können, sollen zur Absolvierung eines zweiten Kindergartenjahres verpflichtet werden können. Hierfür sei es notwendig, dass es vor allem in der Bundeshauptstadt Wien zu einer verstärkten Kontrolle der Kindergärten kommt.
Im Zuge eines Aufnahmegesprächs seien die Deutschkenntnisse angehender Volksschüler zu überprüfen. Das im Zuge der Koalitionsverhandlungen ausgearbeitete Bildungsreformkonzept sieht eigene Deutschklassen für jene Volksschüler vor, die Deutsch als Unterrichtssprache nicht beherrschen.
Als ergänzende Maßnahme einigten sich die potentiellen Koalitionspartner darauf, dass Schüler mit mangelnden Deutschkenntnissen zur Teilnahme an Nachmittagskursen und an Deutschkursen in den Sommerferien verpflichtet werden können. Mit dieser Bestimmung will die Koalition der Erscheinung entgegenwirken, dass internationalen Vergleichsstudien zufolge gegenwärtig rund ein Drittel aller Kinder bei Abschluss der Volksschule nicht in der Lage wären sinnerfassend zu lesen.
Sanktionen bei Nichteinhaltung der Vorgaben
Neu aber nicht gänzlich unerwartet ist die Verschärfung des Sanktionssystems für nachlässige Eltern. Nachlässig sind Eltern in den Augen der Koalitionsverhandler vorläufig dann, wenn sie es unterlassen ihre „Aufgaben und Pflichten“ zu erfüllen, um an der Schulkarriere ihrer Kinder mitzuwirken.
Dazu gehören Beobachtungen wie
- das Nicht-Reagieren von Nachrichten des Lehrkörpers
- das Nicht-Erscheinen zu Elternsprechtagen
- wenn Eltern nichts gegen das Schule schwänzen ihrer Kinder unternehmen
Es sieht die Einschränkung und im Extremfall sogar den Verlust von Sozialleistungen im Falle der Weigerung vor, sich an die verpflichtenden Vorgaben im Bildungswesen zu halten.
Rückkehr der Ziffernnoten in der Volksschule
Aufsehen erregte die Ankündigung, die Notenwahrheit wieder herstellen zu wollen. Mit dieser „Reform“ ist aber de facto eine Rückkehr zu einst Überholtem verbunden, denn die Notenvergabe nach Ziffern ist an den meisten Volksschulen längst außer Mode geraten.
Im Zuge der Schulautonomie hatten Volksschulen bisher die Wahl, wie sie die Benotung ihrer Schützlinge in den ersten drei Schulstufen vornehmen wollen. Nur die vierte und abschließende Stufe der Volksschule war verpflichtend aus Gründen der Vergleichbarkeit nach dem Ziffernsystem zu beurteilen.
Schon ab der ersten Schulstufe der Volksschule soll nach Umsetzung der vorgeschlagenen Reform die klassische Notenskala von eins für „sehr gut“ bis fünf für „nicht genügend“ wiederhergestellt werden. Die gegenwärtig gültigen verbalen Benotungen sind im Sinne eines zusätzlichen Notenkommentars erwünscht, jedoch nicht verpflichtend. Es gehe um eine Vergleichbarkeit der schulischen Leistungen.
Die potentiellen Koalitionspartner wollen auch die gegenwärtig in den „Neuen Mittelschulen“ geltende siebenstufige Notenskala zu Fall bringen.
Was die Aufnahmeverfahren der Allgemein Höherbildenden Schulen angeht, so sollen hier autonome Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Dies solle keineswegs bedeuten, dass die AHS Aufnahmetests durchführen sollten, doch könnten sich etwa Beratungsgespräche als zweckdienliches Kriterium herausstellen.
Land der Meister
Die FPÖ scheint bei den Verhandlungen federführend bei der Forderung nach Weiterentwicklung des Konzeptes der Lehre in Österreich gewesen zu sein.
Die Aufwertung der Lehre solle Österreich zu einem „Land der Meister“ werden lassen. Moderne Ausbildungsmöglichkeiten im Lichte der Digitalisierung und neue Berufsbilder sollen zu mehr Durchlässigkeit führen. Die neunte Schulstufe soll als eine Art vorbereitender „Schultyp“ auf eine weiterführende Lehr- und Facharbeiterausbildung abzielen. Dazu soll eine Reformkommission eingerichtet werden, von der man sich zielführende Impulse erhofft.
Den Verhandlern ist es hier allerdings wichtig, dass regionale Anforderungen und Rahmenbedingungen besondere Berücksichtigung finden.
Es ist nur konsequent, dass auch die Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) und hier in erster Linie die Höheren Technischen Lehranstalten hier einer Modernisierung unterzogen werden sollen. Vor allem die Lehrinhalte des technisch-naturwissenschaftlichen Bereiches (MINT) wären in Hinblick auf die Notwendigkeiten der Digitalisierung anzupassen.
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