Reformen im öffentlichen Dienst und den Behörden sind langwierig und bedeuten einen langen Prozess vom Vorschlag über die Ausarbeitung bis hin zur Annahme der Reformvorschläge. Manche Reformen sind notwendig, um lange gewachsene Strukturen an die Anforderungen einer neuen Zeit anzupassen, andere verändern nur kosmetisch etwas, nicht aber den Kern.
Und andere Reformvorhaben wiederum erregen die Öffentlichkeit und polarisieren, Befürworter und Anhänger streiten oft erbittert in und außerhalb der öffentlichen Bühne. Die für 2019 geplante Reform der Krankenkassen in Österreich, die Ende Mai von der Regierungskoalition beschlossen und offiziell verkündet wurde, ist ein genaues Beispiel für polarisierende Neuerungen.
Bereits Anfang der Woche – am Dienstag den 16. Oktober, kam es unter anderem in Vorarlberg zu gemeinsamen Protesten von Gewerkschaften und Arbeiterkammern. Doch was macht das Paket so umstritten? Welche Verbesserungen soll es mit sich bringen, wer profitiert möglicherweise davon und wie ist die Krankenkassenreform angedacht?
Was verändert sich im Zuge der Krankenkassenreform?
Die markanteste Änderung innerhalb der Reform ist die Verkleinerung der Sozialversicherungsanstalten in Österreich. Aus den bisher 21 sollen fünf werden – maximal, diese Zahl ist noch nicht endgültig gesichert. Der Umbau der Versicherungen soll bis zum Jahr 2020 abgeschlossen sein. Die insgesamt wichtigsten Neuerungen auf einem sind:
Einsparung durch Verschlankung
Ein Ziel der Kassenreform ist, die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung zu erhöhen. Dadurch, dass die Anzahl der Kassen von 21 auf 5 zusammenschmilzt, soll bis zum Jahr 2023 rund eine Milliarde Euro an Kosten gespart werden. Im Zuge dessen werden auch die Direktorenposten erheblich reduziert: Bis zu 65 Prozent sollen ab Beginn der Reform im ersten Quartal 2019 abgebaut werden.
Viele Kassen sollen fusionieren
Viele Sozialversicherungsanstalten werden miteinander verschmolzen werden, dazu ist ein umfassender Integrationsprozess notwendig. Die Stellen, die im Zuge des Personal- und Kassenabbaus abgebaut werden sollen, bedeuten jedoch keine direkte Kündigung für Mitarbeiter. Das wäre nämlich ein Konflikt mit dem österreichischen Kündigungsschutzgesetz, das für die Sozialversicherungsanstalten genau so gilt wie für andere Unternehmen. Stattdessen sollen die Stellen, deren Inhaber in den nächsten 10 Jahren in Rente gehen, nicht neu besetzt, sondern stattdessen umverteilt werden. Da wären bis zum Jahr 2028 rund 30 % der jetzigen Stellen in der Verwaltung, aktuell sind rund 19.000 Personen bei den Sozialversicherungsanstalten beschäftigt.
Schaffung einer neuen Mega-Kasse
Zukünftig soll die „Österreichische Gesundheitskasse“ (Abkürzung: ÖGK) die meisten Versicherten im Land vertreten und versichern, in ihr sollen sich die bisherigen Gebietskrankenkassen wiederfinden.
Bisher waren das neun an der Zahl:
- Burgenländische Gebietskrankenkasse (BGKK)
- Steiermärkische Gebietskrankenkasse (STGKK)
- Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK)
- Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK)
- Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK)
- Kärntner Gebietskrankenkasse (KGKK)
- Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (NÖGKK)
- Oberösterreichische Gebietskrankenkasse (OÖGKK)
- Vorarlberger Gebietskrankenkasse (VGKK)
Die neue ÖKG wird den größten Anteil der Beiträge der Versicherten unter sich verwalten: Im Zuge der Reform würden rund 14 von 18 Milliarden Euro an Beitragszahlungen auf sie entfallen. Sie wird ebenfalls maßgeblich für die Budgethoheit, Steuerung und Gesundheitsplanung innerhalb der Krankenversicherung in Österreich verantwortlich sein.
Das Zwei-Klassen-System der bisherigen Krankversicherungen soll eliminiert werden.
Dafür soll ein Vertrag ausgearbeitet und mit den Ärzten verhandelt werden, der für ganz Österreich gilt, allerdings nur für die Gruppe der regulär Angestellten. Dieser Ärzte-Gesamtvertrag, der im ganzen Land gelten soll, würde von der neuen Österreichischen Gesundheitskasse getragen und verhandelt werden.
Eine Umverteilung der Macht innerhalb der Gebietskrankenkassen
Aktuell sind der Vorstand sowie die Generalversammlung der Länderkassen von den Gewerkschaften dominiert. Rund 80 % der Mitglieder kommen aus der Arbeiterkammer, nur in der Kontrollkammer ist die Situation anders. Hier wird die Verwendung der Gelder überprüft, hier befinden sich Vertreter der Wirtschaft in der Überzahl.
Die bisherige Einteilung in Generalversammlung, Vorstand und Kontrollkammer soll entfallen, stattdessen ist die Schaffung eines Verwaltungsrats geplant, die Vertreter der Arbeiter- bzw. Wirtschaftskammer erhielten hier jeweils die Hälfte der Mandate. Das bedeutet eine massive Einschränkung des Einflusses der Gewerkschafter und einen Ausbau der Macht der Wirtschaft und Unternehmervertretungen.
Was ändert sich durch die Krankenkassenreform für die Patientinnen und Patienten?
Das Ziel der Reform sind allgemeine Einsparungen, ohne die Qualität der Kassen- und Gesundheitsleistungen zu schmälern. Diese Mittel sollen innerhalb des Gesundheits-Haushalts neu verteilt werden und so den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Das ersparte Geld soll rein aus der verschlankten und einfacher gestalteten Verwaltung kommen, ohne die Beiträge der Versicherten zu erhöhen. Folgende Änderungen sind bei der Einführung der Kassenreform absehbar:
Eine bessere ärztliche Versorgung
Bisher gab es im Vergleich zu den Wahlärzten eher wenige Kassenärzte. Deren Zahl soll nun wieder erhöht werden, das kommt den Patienten zugute, die keine komplizierten Anträge auf Erstattung mehr an die Kassen stellen müssen, sondern sich direkt bei dem Kassenarzt ihrer Wahl informieren und behandeln lassen können. Das Vorhaben der FPÖ und ÖVP Regierung lautet hier: „weniger Wahlärzte, stattdessen mehr Kassenärzte“.
Die Mehrfachversicherungen sollen entfallen
Bisher galt für nicht-Selbstständige, die finanzielle Mittel aus einer eigenständigen Tätigkeiten bekamen, diese Vorschrift, dass sie sich bei der Gebietskrankenkasse und gleichzeitig bei der Gewerblichen Sozialversicherung versichern mussten. Das wird geändert: In Zukunft soll diese Personengruppe die freie Wahl zwischen den beiden Kassen haben und nur eine Versicherung abschließen müssen
Die Attraktivität der Stellen für Landärzte soll ausgebaut werden
Die Einsparungen aus der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen soll teilweise in den Ausbau der Attraktivität für landärztliche Stellen fließen. Damit soll eine flächendeckendere Versorgung der Patienten gewährleistet werden, auch wenn diese nicht unmittelbar in oder in der Nähe von Städten leben.
Kommt mit der Reform ein höherer Selbstbehalt für Patientinnen und Patienten?
Die Reform will auch bei den Selbstbehalten bei Leistungen einiges ändern. Insgesamt sollen die gesundheitlichen Leistungen und die Selbstbehalte vereinheitlicht und vereinfacht werden, dazu soll auch die neue Österreichische Gesundheitskasse beitragen. Bisher sind die Selbstbehalte nur in einigen Bereichen einheitlich, zum Beispiel bei den Zuzahlungen für Rollstühle, Inkontinenzprodukte oder Perücken bei Haarausfall.
In einigen Bereichen fehlen jedoch noch solche gemeinsamen Standards, etwa bei der Physiotherapie, Orthopädie, Kinderversorgung und Hörakustik. Besonders bei den Leistungen der Kinderversorgung gibt es große Spannen an Ungleichheit: Für eine logopädische Behandlung oder Brillen müssen Eltern in einigen Bundesländern viel mehr aus der eigenen Tasche bezahlen, als in anderen. Neu ist: Generell sollen Eltern während einer medizinisch notwendigen Kur für ihr Kind keinen Selbstbehalt mehr zahlen müssen.
Im Laufe der letzten Monate wurden Verhandlungen mit den jeweiligen Vertragspartnern beschlossen, um weitere Harmonisierungsschritte einzuleiten. Diese sind jedoch noch nicht abgeschlossen und werden vermutlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Durch die Fusion der Gebietskrankenkassen sollen diese Verhandlungen einfacher und weniger umfangreich werden. Der Bund wird sich im Zuge der Krankenkassenreform dauerhaft mehr Einfluss sichern können, was die bisher überaus starken Sozialpartner bei den Kassen schwächen wird.
Reaktionen auf die Krankenkassenreform
Bereits seit der offiziellen Ankündigung im Mai dieses Jahres kommt es regelmäßig zu Protesten gegen das geplante Vorhaben der blau-türkisen Regierungskoalition. Dabei protestieren vor allem Gewerkschafter, Arbeitnehmerverbände und die Kassen selbst. Im Folgenden finden Sie die Standpunkte einiger Gruppen und Verbände zu der Reform.
Wirtschaftswissenschaftler und Ökonomen
Hier gab es negative und positive Äußerungen zu der geplanten Reform. Die Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Schneider und Stefan Jenewein (Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung, Sitz in Linz) erstellten für die Gebietskrankenkasse von Oberösterreich eine Studie, die mögliche Auswirkungen der Fusion der Kassen untersuchen sollte.
Die Ergebnisse: Laut den Wirtschaftswissenschaftler könnten sich zwischen 386 und 764 Millionen Euro an negativer Wertschöpfung ergeben, wenn die Kassen zusammengelegt werden. Dabei betrage dieses negative Wachstum nicht nur den verantwortlichen Gesundheits-Sektor, sondern auch für viele andere.
Der Grund: Aufträge würden im Zuge der Reform in Zukunft zentral und sogar europaweit vergeben, um Kosten einsparen zu können und die ehrgeizigen Vorgaben der Reform zu erreichen. Dabei würden Anbieter aus der Region ins Hintertreffen geraten. Diese wurden bisher bei der Vergabe von Aufträge durch die Gebietskrankenkasse von Oberösterreich bevorzugt behandelt, um marktübliche Preise nicht zu destabilisieren.
Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt
Sie soll im Zuge der Reform massiv Kosten einsparen, zwischen 2019 und 2023 könnte das rund eine Milliarde Euro sein. Dagegen protestierten Funktionäre und Angestellte der AUVA.
Der Grund für die geforderten Einsparungen: Die Fusion der Krankenkassen und Sozialversicherungen dürfte einiges an Geld kosten, bisher sind diese Zahlen noch nicht abschließend geklärt worden, bewegen sich aber ungefähr im Rahmen von 500 Millionen Euro. Diese Zahl wurde von Sozialversicherungsexperten angegeben, die sich nach der Ankündigung der Reform durch die Regierung mit den damit verbundenen Kosten beschäftigt hatten.
Die Arbeiterkammer Oberösterreich
Sie will die geplante Reform verfassungsrechtliche begutachten und prüfen lassen, weil schwere Bedenken wegen der Vereinbarkeit mit den geltenden Gesetzen vorliegen. Durch die tiefgreifenden Änderungen der Selbstverwaltung der Krankenkassen wird – nach Ansicht der Arbeiterkammer OÖ – das derzeit gut funktionierende Gesundheitssystem aufs Spiel gesetzt.
Der wahre Grund dafür sei nach Ansicht der Kammer die Intention, den Einfluss der Arbeitgeber zurückzudrängen, die derzeit in der Generalversammlung und im Vorstand die Mehrheit bilden. Das würde auch den Einfluss der österreichischen Bürgerinnen und Bürger stark einschränken und ihnen politische Macht entziehen – zugunsten von mehr Einfluss für die freie Wirtschaft und Arbeitgebervertretungen. Das würde langfristig Kürzungen und schmerzhafte Einsparungen im Gesundheitswesen nach sich ziehen, sozial schwächere Gruppen würden damit auf Dauer schlechter gestellt werden.
Der österreichische Rechnungshof
Er hält den Kostenplan und die Aufstellung der geplanten Einsparungen für ungenügend und nicht präzise genug. Die verwendeten Grundlagen für die Berechnung seien nicht klar nachvollziehbar, intransparent und nicht genau genug.
Es sei außerdem nicht zweifelsfrei nachgewiesen, dass das große Ziel der Reform, die Einsparung von einer Milliarde Euro bis 2023, wirklich erreicht werden könne. Nur durch die Verschlankung der Verwaltung und die Fusion der Gebietskrankenkassen sei das rein objektiv nicht zu bewerkstelligen. Die Präsidentin des Rechnungshofs, Margit Kraker, forderte von der Regierung eine realistische Überarbeitung der Kosten und des Einsparungspotenzials, damit der Nutzen und die Berechtigung der Reform klar erkennbar sei und bewertet werden könne.
Weitere Infos:
- https://derstandard.at/2000080344988/Rechtsexperte-Reform-der-Krankenkassen-verletzt-die-Verfassung
- https://www.foerderportal.at/krankenkassenreform/
- https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/5514452/Krankenkassen_Reform-gefaehrdet-Jobs-und-regionale-Betriebe
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